Montag, 21. August 2017

Recht auf Land - die Bewegung der Landlosen

Wenn man brav in die Schule geht, bekommt man mal nen guten Job. Geht man dann brav arbeiten, kann man sich ein wenig Geld zusammen sparen und sich tolle Sachen wie ein Auto oder gar ein Eigenheim leisten...

Auch wenn ich diesen Traeumen und Vorstellungen nicht wirklich nacheifere, so stellt es doch ein ganz klassisches Erwartungskonstruk fuer die Lebensplanung vieler dar. Was aber wenn die Schere zwischen Arm und Reich so gross ist, dass solche Ideen schon von vornherein wie Seifenblasen zerplatzen und am besten erst gar nicht gedacht werden?

Selbst hier in Oesterrreich habe ich das Gefuehl, dass die Idee des braven Sparers eine immer absurdere darstellt - selbst mit abgeschlossenem Studium und der Faehigkeit dem Druck der Gesellschaft und Arbeitswelt stand zu halten.

Aber was waere wenn man wieder von der kapitalistischen Lebensweise ein wenig Abstand nimmt? Wenn eine gleichmaessige Verteilung von Guetern und Land fuer alle ausreichend waere und vielleicht sogar den Traum vom Stueckchen Land doch wieder erreichbarer macht?

Eine in Lateinamerika sehr praesente Idee, die sich BEWEGUNG DER LANDLOSEN nennt, versucht durch Besetzungen und eisernem Durchhaltevermoegen sich dieses Recht zu erkaempfen und den Traum von der gemeinsamen Landbestellung zu erfuellen.

Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra - MST
Denn in Brasilien is es beispielsweise so, dass 50 % der landwirtschaftlich genutzten Flaechen nur 1 % der ¨Bauern¨gehoert und von denen dann die klassischen Bilder brasilianischer Grossgrundbesitzer bekannt sind.

Daher spielen politisch unterstuetze Landreformen immer wieder eine Rolle, die auf politisch-ideologischen, also auf Grunden der Fairness, basieren, aber auch sozial-wirtschaftliche Motive haben, denn oftmals wird  Land von Grossgrundbesitzer nur zu einem Bruchteil genutzt, wobei eine Umverteilung zu wesentlich besserer Nutzung durch Kleinbauern fuehren wuerde.

Durch die REFORMA AGRARIA wird in Brasilien (lt. Schulbuch der Tochter meiner Gastfamilie) seit den 1950 Jahren versucht, eine Umverteilung des Landes durch Aenderung gesetzlicher Regelungen zu erreichen. Doch bisher sind alle Versuche dies tatsaechlich zu aendern, an den Grossgrundbesitzern gescheitert, die sich nicht ihres Landes enteignen lassen wollen. Auch dem so hochgelobten Lula ist dies waehrend seiner Amtszeit nicht gelungen...

Bisher kannte ich nur das Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra (MST), das sich anscheinend auf etwas radikalerem Wege versucht, Land zum eigenen Eigentum zu machen. Aber uns kommt hier immer wieder auch eine von der kirche unterstuetzte Landbewegung unter. Die CPD - Commisao Pastoral da Terra, versucht Land auf legalerem Weg zu erlangen, um Menschen Zugang zu Land zu ermoeglichen, da alle davon ueberzeugt sind, das Konsum in der Form, wie wir in Leben fuer unsere Welt nicht tragbar ist (was mich wiederrum besonders beruehrt, denn dieses Jahr ist der WORLD OVERSHOOT DAY, also der Tag an dem die Gesellschaft mehr an natuerlichen Ressourcen verbraucht hat, als ueberhaupt waehrend des restlichen Jahres von unserem Planeten hergestellt werden kann, bereits Anfang August gewesen...) und weil ein ehrliches Leben am Land, wie es bereits die Grosseltern gefuehrt haben, von vielen Familien, besonders in Bezug auf ihre Kinder, angestrebt wird.

Warum all die Muehe fuer das Recht auf Land? Fuer die LIEBE!
Die Organisation erfoglt dabei in Camps, die sich je nach rechtlichem Status als ACAMPAMIENTO (Camp ohne rechtlichen Landtitel, relativ unbefestigte Haeuser) oder ASIENTAMIENTOS (verfuegen ueber Landtitel, Haeser konnen befestigtere Formen annehmen) bezeichnet werden. Im brasilianischen Bundesstaat Goias befinden sich zur Zeit 43 Acampamientos und 26 Asientamientos, was in groesste Dichte solcher Bewegung in ganz Brasilien darstellt.

Aufgrund der Arbeit von Padre Geraldo duerfen wir fuer 2 Tage das neueste der goianischen Acampamientos besuchen. Das Landstueck, das ca 140 000 ha umfasst, wurde den hier ansaessigen Familien mit Hilfe der Gewerkschaft ueber die INCRA (Instituto Nacional de Coloniyacao e Reforma Agraria) verpachtet, die es zuvor einem Grossgrundbesitzer wegen Steuerhinterziehung enteignet hat.  

Schon am Vorabend unserer Reise merkt man die Anspannung deutlich unter uns. Was wird uns dort erwarten? Was heisst es Land zu besetzen? Unter welchen Lebensbedingungen lebt man, wenn man beschliesst eine Besetzung durchzufuehren?

Und so stehen wir am naechsten Morgen mit einem mulmigen Gefuehl auf, werden aber gleich nach dem Fruehstueck in der ersten Besprechungsrunde des Tages von Max empfangen, der fuer uns alles vor Ort in die Wege geleitet hat.

Fuer die 46 km Busfahrt benoetigen wir 2 Stunden, denn der Grossteil der Strecke ist eine unbefestigte Staubpiste, die uns die Traenen in die Augen treibt und unsere Haelser nach einer nie versiegenden Wasserquelle luesten laesst. Ab und zu sieht man ein paar Rinder, aber ansonsten fuehlen wir uns wirklich als ob wir nun tatsaechlich am sprichwoertlichen Arsch-der-Welt angekommen waeren.

Mit durchgeschuettelt und geruettelem flauen Magen steigen wir schliesslich aus unserem Backofen-Bus in das gleissende Licht vor einer niedrigen Steinhalle, wo uns bereits ein paar Frauen in Kochkitteln froehlich entgegen lachen und nach einer kurzen, aber herzilichen Begruessung ist das Eis gebrochen und wir machen uns froehlich ueber die fuer uns zubereiteten Koestlichkeiten her.  Danach folgt eine kurze gemeinsame Vorstellungsrunde, in der uns ein Teil der 46 hier ansassigen Familien ueber ihren Lebensalltag erzaehlt und von dem auch ein Teil der Informationen stammt, ueber die ich gerade eben geschrieben habe :)

der Traum vom Eigenheim
Und dann ist es endlich so weit, wir duerfen den Flecken Erde sehen, der fuer sie die Erfuellung ihrer Traeume darstellt. Fuer den sie in Kauf nehmen, zur Zeit nicht ueberall Stromversorgung zu haben. Wo gemeinsames Leben im Vordergrund steht und nur durch Zusammenhalt und Austausch von Guetern ein angenehmes Leben fuer jeden Moeglich ist. Wir werden ganz stolz von den einzelnen Familien durch ihre provisorischen Huetten gefuehrt, die aus einem Bambusgestaenge bestehen, welche mit einfachen Plastikplanen bespannt sind. Darin ist es in einen/mehrere Schlafraeume, einen offenen Kuechenbereich und manchmal sogar einen "Badezimmerbereich" (indem man sich nur mit einem Kuebel waschen kann) unterteilt. Oft umgibt ein kleines Gaertchen mit Gemuese, das zur Eigenversorgung oder dem Tausch dient, das Zelthaus und ueberall sind Kinder und Hundewelpen am spielen und ergeben fuer uns ein sehr idyllisches Bild.

so sieht eine Kueche aus, die mich gluecklich macht

Thaeni bei der Vorfuehrung ihres ganzen Stolzes,
 ihrem Gemuesegarten
Hunde-Welpen-Himmel

Wie ein Blitzschlag trifft mich die Offenheit der Leute und die Einfachheit ihrer Lebensumstaende mitten ins Herz. Trotz oder vielleicht gerade wegen der wenigen Dinge die sie besitzen, scheinen sie umso gluecklicher und unbeschwerter zu sein - auf das wesentliche fokussiert. Ich frage mich einmal mehr, wie immer auf Reisen (und das ist auch der Grund warum ich so voller Inbrunst versuche in solche Welten einzutauchen), wie ich solch eine Zufriedenheit in mir/mit mir in meiner Welt zu Hause erschaffen kann um auch mit solch einer Leichtigkeit durch das Leben zu schreiten. Von ganzem Herzen wuerde ich mir das nicht nur fuer mich, sondern auch fuer den Rest der verzagten Wesen wuenschen.


Aber um nicht ganz in der Ambivalenz des Moments unterzugehen, lasse ich mich weiter durch das 
Frischer Fisch fuer uns alle
Acampamiento fuehren, vorbei an vielen liebevollst gestalteten Haeuschen und Gaertchen bis hinunter zum Fluss, wo wir gemeinsam baden gehen und schliesslich zurueck ins Dorf, wo fuer uns ein riesiges Festessen mit Lagerfeuer vorbereitet wurde.
Da ich ein wenig der Liebe die uns im Laufe des Tages entgegen gekommen ist, zurueck geben will und ich sowieso nicht wirklich still sitzen kann, sitze ich schliesslich in einem Kreis voller Kinder und lerne ihnen mit Daniela gemeinsam wie man Armbaendchen knuepft und Sandra gibt Liebe in Form von Kartenspielen zurueck, wodurch das Gefuehl als ob wir uns alle schon viel laenger kennen wuerden, um ein vielfaches verstaerkt wird. 




Wie funktioniert das nochmals mit dem Melken?
Ueber Nacht haben einige der Familien sogar ihre Betten fuer uns geraeumt, damit wir voll und ganz in ihre Welt eintauchen koennen. Und so werde ich am naechsten Morgen von gackernden Huehnern und dem Geraeusch spielender Hundewelpen rund um die Huette geweckt, gekomme eine kurze Einfuehrung ins Kuehe melken (was - mal wieder - grandiosestens scheitert). Und waehrend die anderen vom Intercambio sich eine Schweinefarm in der Naehe ansehen, bleibe ich im Dorf, plaudere mit den Leuten. Um halb 11 faehrt schliesslich der Schulbus vor, nimmt eine ganze Horde an Kindern mit in die 35 km entfernte Schule (wofuer sie taeglich 2 h hin und 2 h zurueck unterwegs sind) und ich bleibe mit Fragen ueber Fragen in meinem Kopf zurueck.



mit den coolsten Kids

glueckliche Schueler vor der 2 stuendigen Busfahrt zur Schule



1 Kommentar:

  1. Schoene Eindruecke von einem ganz besonderen Menschen auf einer ganz besonderen Mission!!
    Ganz aktuell zum Thema: https://nacla.org/news/2017/08/15/land-injustice-brazil

    Mein blog: https://nicaclara.wordpress.com/

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